Adventskalender 2022 – Tür 5

SEELENWÄRMER

Mit einer guten Tasse Tee steht die Welt für einen Augenblick still. Ich ruhe mich nach einem Spaziergang in der Kälte aus und genieße das Gefühl der Tasse an meinen kalten Händen. Ich hänge meinen Gedanken nach und spüre Schluck für schluck die Wärme wohltuend in mir aufsteigen. Ein Nachmittagstee ist für mich ein kostbarer Moment in der Adventszeit, ein Seelenwärmer.

Nachdenklich macht mich, dass dieses liebgewonnene Ritual eng mit der Kolonialzeit verknüpft ist. Britische Handelsgesellschaften waren im 19. Jahrhundert daran beteiligt, im Himalaya die Hochtäler Assam oder Darjeeling „abzukaufen“ und in Teeplantagen zu verwandeln. Die Unabhängigkeit von den chinesischen Tee Importen machten den Tee in Europa für eine breite Masse erschwinglich, doch der Preis war sehr hoch. Viele profitierten von den enorm günstigen Anbaubedingungen, die auf der Ausbeutung und Unterbezahlungen unzähliger Teepflückerinnen beruhte.

Die Wurzeln der kolonialen Vergangenheit sind tief und reichen weit bis in die heutige Zeit hinein. Auch heute noch ist der Teeanbau geprägt durch schlechte Arbeits – und Lebensbedingungen.

Liebgewonnene Traditionen dürfen nicht auf Ausbeutung und Ungerechtigkeit aufbauen. Sie müssen hinterfragt und verändert werden, im Großen wie im Kleinen. Schon die Wahl einer Fairtrade – Teesorte ermöglicht gerechtere Löhne und menschenwürdigeres Arbeiten.

Adventlich leben wir in der Hoffnung auf Erlösung, auf Erleuchtung der Finsternis.

Mein mit Bedacht und Solidarität gewähltes Getränk eröffnet einen Lichtraum der Gerechtigkeit , auch wenn die Lebenswirklichkeit der Teepflückerin weit von meinem Alltag entfernt scheint.

Auch an mir liegt es, aus der Wurzel der Ungerechtigkeit einen neuen Trieb der Gerechtigkeit sprießen zu lassen.

Mein Seelenwärmer eröffnet den Lichtraum der Gerechtigkeit.

Mit einer guten Tasse Tee wird die Welt ein bisschen besser.