Adventskalender 2022 – Tür 13

WARTEN

Noch zwei Zyklen Chemotherapie, dann darf sich mein Körper erst einmal von den Strapazen erholen.

Noch zwanzig lange Minuten und wir sind endlich am Urlaubsort angelangt.

Nach neun Monaten werde ich mein Kind im Arm halten.

In fünf Minuten ist die schier endlose Chemiestunde endlich vorbei!

Noch drei Kilometer bis zur Almhütte, nur bergauf!

In zwei Wochen fangen die Prüfungen an. Ich habe so viel gelernt und bin schon sehr aufgeregt.

Warten.

Wann sind wir endlich da? Das hört ja nie auf! Halte ich das durch? Mir geht die Luft aus! Wann ist es endlich soweit?

Warten.

„Herr Wichern, wann ist endlich Weihnachten?“

„Herr Wichern, wann kommt das Christkind?“

„Herr Wichern, wie viele Tage noch?“

„Herr Wichern, ich kann nicht mehr aushalten, ich freue mich so!“

Diese Szene im „Rauhen Hause“, Hamburg 1833, kann man sich gut vorstellen: Die Jungs sind ungeduldig und in froher Erwartung auf das Weihnachtsfest.

Aus schwierigen und ärmlichen Verhältnissen kommen sie. Im neu gegründeten Kinderheim haben sie eine neue Familie gefunden. Der noch junge Heimleiter Jakob Hinrich Wichern hat dies möglich gemacht. Hier ist eine Chance auf ein sicheres und behütetes Leben. Der Alltag war bestimmt nicht einfach und oft turbulent.

Und dann diese täglichen Fragen. Wichern erkennt: Kinder haben ein anderes Zeitgefühl. Die lange Adventszeit übersteigt ihre Vorstellungskraft. Und er selbst ist zur Geduld und Kreativität herausgefordert.

Ein altes Wagenrad, Nägel und Kerzen helfen beim Veranschaulichen:

20 weiße und vier rote Kerzen werden auf dem Wagenrad befestigt. Bestimmt durften die Jungs helfen beim Nägel einschlagen und Aufhängen.

Jeden Tag wird nun bei den gemeinsamen Mahlzeiten eine weitere Kerze entzündet, werktags die weißen, sonntags die roten Kerzen.

Bestimmt fingen die Augen der Jungs an zu strahlen, als der Lichterkranz immer heller, die unbenutzten Kerzen immer weniger wurden. Bestimmt haben sie sich täglich die Anzahl der Kerzen vorgezählt. So ist der Adventskranz entstanden.

Das Warten wurde zum Lichtraum, Stück für Stück.

Manchmal braucht es Menschen, die mir diesen Lichtraum des Wartens eröffnen.

Manchmal muss ich meine Wegabschnitte vor Augen haben, damit der Weg leichter wird.

Manchmal wird das Aushalten erträglich, wenn mir jemand eine Perspektive eröffnet.

Die Hälfte der Adventszeit ist bereits zum Lichtraum geworden. Das Warten lohnt sich!